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Thema 1: Weinbewertungen (insbes. Punktbewertungen) (Text: 1997)

Nachfolgend einige Gedanken und Überlegungen zu einem Thema, welches immer wieder zu Kontroversen führt, denn

"Weinbewertungen sind durchaus ein heikles Thema!"

Wie soll man überwiegend subjektiv empfundene Geschmackseindrücke in eine allgemein gültige und für andere nachvollziehbare Bewertungs-Struktur bringen, die auch noch verlässliche Aussagen über die Qualität und Güte des Weines enthält?

Eigentlich nicht wirklich möglich - sagen die einen. Unter Beibehaltung strenger Regeln doch möglich - sagen die anderen.

Nun, es gibt international gebräuchliche Methoden, die Qualität eines Weines zu beurteilen. Man bezieht sich hierbei natürlich auf die mit Augen, Nase und Gaumen erfahrenen Sinneseindrücke, beschreibt diese mit Worten und separiert sie gewöhnlich nach den folgenden Kriterien:

- optische Beurteilung

- geruchliche Beurteilung

- geschmackliche Beurteilung 

- Beurteilung regionaler und/oder sortenspezifischer Typizität

- Beurteilung des Zusammenspiels aller im Wein wahrzunehmenden Komponenten

- Gesamteindruck / aktueller Trinkzustand / Entwicklungspotential

- Beurteilung des Qualitäts-Preis-Verhältnisses

Diese Art der Beurteilung liefert einem Weininteressierten auch wirklich brauchbare Informationen. Sie ist allerdings - wenn sie ernsthaft und gründlich erfolgt ist - durch ihren ausführlich beschreibenden Text relativ umfangreich und nicht immer in aller Kürze zu vermitteln.

Es kann zudem vorkommen, dass rein "technische" Beurteilungen mit Fachausdrücken und Insider-Vokabeln versehen sind, die beim Nichtfachmann oder Gelegenheitsweintrinker auf Unverständnis stoßen.

Andererseits findet man auch blumig umschreibende und lautmalerisch beschreibende Bewertungen, die prosaisch gesehen zwar bemerkenswert sind, aber letztendlich ihren eigentlichen Informationszweck nicht erfüllen. Auch für die manchmal etwas überspannt anmutende Terminologie der Wein-Enthusiasten gibt es keine zwingende Notwendigkeit, auch für den interessierten Weintrinker nicht, sie sich anzueignen.

Vielleicht auch wegen dieser Beschreibungs-Problematik, findet man immer häufiger ganz lapidar eine Bewertung nach Punkten - meist im 20er oder 100er System - und sonst weiter nichts!

Aus den vorgenannten Gründen erfreuen sie sich stets wachsender Beliebtheit, denn nichts lässt sich schneller publizieren und mitteilen, als eine Zahl! Und nichts ist auf der ganzen Welt besser verständlich!

Wir möchten dringend dazu raten, Punktbewertungen mit allergrößter Vorsicht zu gebrauchen und sie keinesfalls als objektive Qualitäts-Absolution anzusehen. Schon gar nicht beim Weineinkauf!

Wein ist sensorisch einfach zu komplex und natürlich auch zu abhängig vom persönlichen Eindruck des Degustators, als das eine nackte Zahl für einen anderen eine wirklich erschöpfende Aussage über die Güte machen könnte - geschweige denn über den Geschmack. Wir begrüßen es daher keineswegs, dass Weine durch Punktbewertungen einer regelrechten Klassifikation unterworfen werden.

Häufig führt dies bei "Punkte-Gläubigern" zur Vernachlässigung einwandfrei vinifizierter und wunderschöner Weine und nur deswegen, weil sie nicht der Vorstellung von Güte der (des) jeweiligen Tester(s) entsprachen und sie somit eine niedrige Punktwertung erhielten.

Die schlimmsten Auswüchse dieser vereinfachenden Beurteilung erfahren wir gar dann, wenn Weingüter anfangen, den Stil ihrer Weine am Geschmack populärer und somit im Marktgeschehen einflussreicher Testerpersönlichkeiten auszurichten, um zu einer möglichst hohen Punktbewertung zu kommen.

Um noch einmal klarzustellen: Es geht nicht um die generelle Ablehnung einer Weinbewertung nach Punkten, sondern lediglich um den Umstand, dass diese "Noten", wenn sie allein stehend gebraucht werden, in ihrer Aussage zu oberflächlich sind und ein gewisser Missbrauch möglich wird. 

Innerhalb einer Vergleichsprobe hat eine Punktbewertung schon eine gewisse Bedeutung. Da jedoch die Reihenfolge und die Auswahl der Weine einen erheblichen Einfluss auf die Degustation haben, dürften solche Bewertungen konsequenterweise nie ohne Erwähnung der gesamten Probenfolge publiziert werden (Probenkontext).

Gute und für andere nachvollziehbare Erfahrungen mit Punktierungen haben wir immer dann gemacht, wenn die Vergleichbarkeit aller Weine in der Probe möglichst hoch war.

Wenn z.B. eine einzige Rebsorte aus einem Jahrgang, aber von versch. Weingütern derselben Region serviert wurde oder wenn Weine aus unterschiedlichen Jahren eines einzigen Weingutes degustiert wurden (Vertikalprobe) oder auch wenn eine engere Herkunfts-Probe (Appellations-Probe) eines einzigen Jahrgangs durchgeführt wurde etc.

Wir halten es jedenfalls für sehr problematisch, wenn Weine verschiedenster Art, Herkunft und Aromatik innerhalb ein und derselben Probe mit Punkten beurteilt werden. Dies muss zwangsläufig zu merkwürdigen Ergebnissen führen. Werden Weine unterschiedlichster Art miteinander degustiert, sollte nur eine beschreibende Beurteilung erfolgen und unserer Meinung nach eine Punktbewertung besser unterbleiben.

Und es gibt noch einen wichtigen Punkt, der der Erwähnung bedarf: die Qualitäts-Preis-Relation! Da sich die im Markt anzutreffende Preisspanne von Weinen enorm gespreizt hat - vom 1,49-Euro-Industrie-Schoppen über den zumeist akzeptierten Schwerpunkt von 5.- bis 25.- Euro und den besonderen Ausnahmeweinen bis 50.- Euro und schließlich bis hin zu den Gewächsen (fast) ohne preisliches Ende - sollte diese Beurteilung immer Bestandteil einer informativen Bewertung sein.

Denn ein Wein mag noch so komplex, tiefgründig und großartig strukturiert sein: Wenn er ein halbes Vermögen kostet, dann darf man dies schließlich auch erwarten. Aber hinsichtlich seiner Qualitäts-Preis-Relation wird er vermutlich von vielen anderen Weinen, die nur einen Bruchteil kosten, geschlagen. Was den Liebhaber des teuren Edelweins natürlich nicht hindert, ihn trotzdem für das halbe Vermögen zu erwerben. Wie bei vielen Dingen im Leben, gilt auch beim Wein, dass es eben schon immer etwas teurer war, einen exklusiven Geschmack zu haben. Aber das geht in Ordnung!

Alle anderen, die nicht ein halbes Vermögen für einen Spitzenwein ausgeben können oder wollen, oder auch nur einfach wissen wollen, ob der 5.-Euro-Wein sein Geld wert ist, freuen sich jedoch umso mehr über eine Beurteilung der Qualitäts-Preis-Relation.

Übrigens: Es spricht eigentlich nichts dagegen, z.B. auch bei einer Weinprobe "einfacher" Landweine, den gesamten Spielraum eines Punktesystems (egal ob 20 oder 100) auszuschöpfen. Ein perfekt gemachter, sauberer und typischer Landwein könnte dann innerhalb dieser Probe im 20er System durchaus auf 19 "Relativpunkte" und mehr kommen. Dies hat für diesen Wein in jedem Falle mehr Aussagekraft hinsichtlich seiner Güte bezogen auf seine Herkunft und seinen Preis, als ihm aufgrund des ideellen Vergleichs mit den Topweinen dieser Welt nur 15 "Absolutpunkte" zu geben. Natürlich dürfen auch diese  Bewertungen dann nirgends ohne die Erwähnung des Probenkontextes erscheinen.

Fazit: Eine Weinbewertung, schon gar nicht eine solche, die ausschließlich aus Zahlen besteht, kann niemals die eigene sensorische Prüfung eines Weines ersetzen. Erst recht nicht, wenn es auch noch darum geht, eine größere Menge eines Weines oder einen sehr teuren Wein zu erwerben. Sie kann weder eine Garantie für die Güte eines Weines, noch eine Garantie dafür sein, ob der Käufer mit dem Wein zufrieden sein wird.

Wie schon zu Anbeginn gesagt: Weinbewertungen sind ein heikles Thema!

(Da teure und rare Weine nur relativ selten zur Verkostung bereit stehen, sollten Sie sich unsere Edel-Weinprobe im November nicht entgehen lassen.Termin siehe unter Pkt.15)

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